Guatemala: Kriminalisierung und Einmischung in die Berufsausübung von ehemaligen Mitgliedern der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG)
Die Anwältinnen Claudia González, Leydi Indira Santizo Rodas und Flor María Gálvez werden wegen ihrer Arbeit als ehemalige Beauftragte der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG)[1] und wegen ihrer Verteidigung von Staatsanwälten und ehemaligen Staatsanwälten der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit in Guatemala (FECI)[2] mit Repressalien konfrontiert.
Diese für Anwälte riskante Situation ist vor dem Hintergrund eines Rückschritts im Kampf gegen Straflosigkeit und Korruption in Guatemala zu sehen. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat gerade ihre Besorgnis über die gerichtliche Verfolgung von Rechtspflegern und ehemaligen Mitgliedern der CICIG zum Ausdruck gebracht, die sich im Kampf gegen die Straflosigkeit in Fällen von schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption engagieren.
Die Tätigkeit von Anwälten, die in solche Fälle verwickelt sind, wird kriminalisiert. Besonders verachtet werden Anwältinnen, die andere Frauen verteidigen, die sich in Guatemala für die Verteidigung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Straflosigkeit und Korruption einsetzen. Die Beschwerden bestehen häufig aus unbegründeten Anschuldigungen, die ihre Berufsausübung als organisiertes Verbrechen bezeichnen, das das Funktionieren der Justiz behindert.
Abgesehen von der Gefahr der Kriminalisierung sehen sich Anwältinnen bei der Verteidigung ihrer Mandanten in diesen Gerichtsverfahren mit erheblichen Hindernissen konfrontiert. Sie prangern insbesondere die offensichtlichen Unregelmäßigkeiten und die Willkür des Verfahrens an: Informationen werden zurückgehalten und der Zugang zu den Akten ihrer Mandanten ist nicht möglich, die Gerichtsentscheidungen sind inkonsistent und nicht juristisch begründet, wodurch die Rechte der Verteidigung direkt beeinträchtigt werden.
Leydi Indira Santizo Rodas, eine ehemalige Anwältin der CICIG, wird derzeit wegen Behinderung der Justiz angeklagt, nachdem sie 28 Tage lang willkürlich in Untersuchungshaft gehalten wurde. Berichten zufolge geht die Inhaftierung darauf zurück, dass die Anwältin die Staatsanwältin der FECI, Eva Siomara Sosa Pérez, verteidigt hat, gegen die ebenfalls ein Verfahren läuft.
Gegen die Rechtsanwältin und ehemalige Bevollmächtigte der CICIG, Flor María Galvez, wurden mehrere Strafverfahren eingeleitet, weil sie die Verteidigung von Leydi Indira Santizo und Eva Siomara Sosa übernommen hatte. Außerdem stand sie in einem Strafverfahren vor Gericht, weil sie gemeinsam mit der Staatsanwältin Virginia Laparra Rivas Korruptionshandlungen gegen Beamte angezeigt hatte. Aus Angst vor einer Inhaftierung war Flor Gálvez gezwungen, das Land vorübergehend zu verlassen und im Februar 2022 zusammen mit anderen Kollegen einen Antrag auf einstweilige Maßnahmen vor der IAKMR zu stellen, der bislang erfolglos geblieben ist.
Derzeit verteidigt Claudia González, Anwältin und ehemalige Bevollmächtigte der CICIG, auch die Anwältin Santizo und die ehemalige Staatsanwältin Sosa sowie die Staatsanwältin Virginia Laparra, die seit dem 23. Februar 2022 in Untersuchungshaft sitzt, weil sie Korruptionsfälle angezeigt hat. Claudia ist nicht nur mit Hindernissen und Willkür in den von ihr verteidigten Gerichtsverfahren konfrontiert, sondern auch Opfer von Stigmatisierung durch diskriminierende und frauenfeindliche Angriffe in sozialen Netzwerken, die die Ausübung ihres Berufs als Strafverteidigerin delegitimieren.
Das Observatorium verurteilt die Kriminalisierung unserer guatemaltekischen Kolleginnen und Kollegen und die Einmischung in ihre rechtmäßige Berufsausübung aufs Schärfste.
Das Observatorium fordert die guatemaltekischen Behörden auf, dafür zu sorgen, dass jegliche Kriminalisierung und Einmischung in die Berufsausübung unserer Kolleginnen eingestellt wird.
Das Observatorium erinnert die guatemaltekischen Behörden daran, dass die Unabhängigkeit des Anwaltsberufs einer der wichtigsten Indikatoren für eine gesunde Demokratie und die Festigung der Rechtsstaatlichkeit ist. Dies steht im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen über die Rolle der Anwaltschaft (1990), wonach :
„Die staatlichen Behörden stellen sicher, dass Rechtsanwälte a) alle ihre beruflichen Aufgaben ohne Behinderung, Einschüchterung, Belästigung oder unzulässige Einmischung erfüllen können; (…); und c) wegen aller Maßnahmen, die sie in Übereinstimmung mit ihren anerkannten Berufspflichten und -normen und ihrem Berufsethos ergreifen, nicht Gegenstand von Verfolgung oder wirtschaftlichen oder sonstigen Sanktionen sind oder diesen drohen.“ (Grundsatz 16)
„Wenn die Sicherheit von Anwälten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit bedroht ist, müssen sie von den Behörden angemessen geschützt werden“. (Grundsatz 17)
„Rechtsanwälte dürfen aufgrund der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mit ihren Mandanten oder der Sache ihrer Mandanten gleichgesetzt werden.“ (Grundsatz 18)
„Rechtsanwälte genießen zivil- und strafrechtliche Immunität für alle relevanten Aussagen, die sie in gutem Glauben in schriftlichen oder mündlichen Plädoyers oder bei ihrem Auftreten in eigener Sache vor einem Gericht oder einer anderen Rechts- oder Verwaltungsbehörde gemacht haben.“ (Grundsatz 20)
Es ist Aufgabe der zuständigen Behörden, dafür zu sorgen, dass Rechtsanwälte Zugang zu relevanten Informationen, Akten und Dokumenten, die sich in ihrem Besitz oder unter ihrer Kontrolle befinden, so rechtzeitig erhalten, dass sie ihren Mandanten wirksamen Rechtsbeistand leisten können. Dieser Zugang muss ihnen zum geeigneten Zeitpunkt und ohne jede Verzögerung gewährt werden. (Grundsatz 21)
[1] Die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) wurde 2006 im Rahmen eines Abkommens zwischen den Vereinten Nationen und der guatemaltekischen Regierung gegründet. Sie ist ein unabhängiges Organ, dessen Ziel es ist, die Staatsanwaltschaft und andere öffentliche Einrichtungen bei der Untersuchung und Zerschlagung illegaler Sicherheitskräfte und geheimer Sicherheitsapparate zu unterstützen. Die CICIG wurde 2019 durch eine einseitige Entscheidung des ehemaligen Präsidenten Jimmy Morales aufgelöst.
[2] Das Büro des Sonderstaatsanwalts gegen Straflosigkeit (FECI) wurde eingerichtet, um in Korruptionsfällen zu ermitteln, die von der CICIG und dem Büro des Generalstaatsanwalts ausgewählt wurden.