Die Generalversammlung des OIAD vom 16. Juni 2023 in Marseille – ein fruchtbarer Austausch zwischen den Mitgliedern

Die Generalversammlung des OIAD vom 16. Juni 2023 in Marseille – ein fruchtbarer Austausch zwischen den Mitgliedern

Am 16. Juni 2023 fand in Marseille die jährliche Generalversammlung der OIAD statt, an der insgesamt fast 80 Teilnehmer online und im Maison des Avocats de Marseille teilnahmen.

Die Veranstaltung war geprägt von den Erfahrungsberichten der Anwälte aus aller Welt, die bereit waren, über ihre Berufserfahrungen zu sprechen sowie von der Verabschiedung des Tätigkeits-, Strategie- und Finanzberichts. Ferner fanden auch die Übergabe des Vorsitzes, die Wahl eines neuen Vorstandsmitgliedes des Observatoriums und die erste Verleihung des OIAD-Preises statt. In verschiedenen Themenworkshops konnten die Mitglieder Ideen und Überlegungen austauschen.

Die bewegenden Berichte von gefährdeten Anwälten und Anwältinnen veranschaulichten die  Arbeit der Beobachtungsstelle

Am Sitz der Anwaltskammer in Marseille sprachen der tunesische Rechtsanwalt Mounir Baatour und die ukrainische Rechtsanwältin Tatiana Havryliuk und leisteten somit ihren Beitrag zum Austausch zwischen den OIAD-Mitgliedern. Die Vertreter der Menschenrechte berichteten ihren Kollegen von der Bühne aus von den in ihren Herkunftsländern gemachten Erfahrungen und den dort bestehenden Risiken.

Die Verfolgung geschieht auf vierfache Weise, durch den Staat, durch die Anwaltskammer, von der ich suspendiert wurde, von den Kollegen, die sich weigerten mich zu vertreten und von meinen Mandanten, die meine Dienstleistung ablehnen“, erklärt Mounir Baatour, der wegen seiner Homosexualität berufliche Verfolgung erlebt.

 

Aufgrund des Krieges hat sich der Anwaltsberuf in der Ukraine völlig verändert. Viele Rechtsanwälte sind nun Soldaten (…) und verteidigen das Land. Mehrere Dutzend Anwälte haben bereits ihr Leben verloren (…)“. Neben Jérôme Gavaudan und Philippe Chaudon erläutert Tatiana Havryliuk die Situation der Anwälte in der Ukraine. Sie spricht der OIAD und der Rechtsanwaltskammer von Marseille ihren Dank aus.

Auch die guatemaltekische Anwältin Claudia Gonzalez und der afghanische Anwalt Hossain Haydari wollten per Video über die Schwierigkeiten berichten, mit denen sie als Rechtsanwälte in ihren Ländern zu kämpfen haben und auf die wichtige Rolle des OIAD für die Ausübung ihre Berufes hinweisen.

Nach Einschätzung von Claudia Gonzalez ist es dem OIAD zu verdanken, dass Anwältinnen die Möglichkeit haben, „ihren Beruf in der schwierigen Lage“ auszuüben, in der sie sich als Frauen und Anwältinnen befinden.

 

Sowohl meine Kollegen in Afghanistan als auch ich selbst wurden mehrfach bedroht, ja sogar geschlagen. Am 12. August 2021 wurde ich unter Druck gesetzt, aus Herat zu fliehen und mein Haus und mein Leben zurückzulassen (…)“, berichtet Hossain Haydari, ein afghanischer Rechtsanwalt.

Neben den Zeugnissen der Anwälte wurden bei der Vorstellung des OIAD-Tätigkeitsberichts auch verstärkt auf die Unterstützung des Observatoriums hingewiesen, vor allem bezüglich der aktuellen Lage gefährdeter Rechtsanwälte in Afghanistan und der Türkei – für sie sprachen Francesco Caia und Rusen Aytac – aber auch im Iran und in Kolumbien.

Zu den ergriffenen Maßnahmen gehört die Initiative zur Mitfinanzierung des Dokumentarfilms „Desterrados“, der von der Situation des kolumbianischen Rechtsanwalts Adil Meléndez berichtet.

Schließlich wurde auf der Generalversammlung auch die Gelegenheit ergriffen, über die Fortschritte und die Beobachterrolle des OIAD bei dem vom Europarat geförderten Projektentwurf zum Schutz von Rechtsanwälten zu berichten. Alfredo Irujo und Massimo Audisio stellten die Fortschritte des Projekts vor, das eine einmalige Gelegenheit zum Schutz von besonders exponierten Rechtsanwälten bei Berufsrisiken, darstellt.

Weitere Informationen finden Sie im Tätigkeitsbericht des OIAD 2022/2023.

Der Strategie- und der Finanzbericht des Observatoriums wurden von Julie Couturier, Präsidentin der Pariser Anwaltskammer und Laurence Roques, Schatzmeisterin des OIAD, vorgestellt. Beide Berichte wurden einstimmig genehmigt und verabschiedet.

Einer der Höhepunkte der Generalversammlung bestand schließlich in der ersten Verleihung des im April 2023 ins Leben gerufenen OIAD-Preises, mit dem ein Anwalt oder eine Rechtsanwaltskammer für ihren weltweiten Einsatz für Menschenrechte ausgezeichnet wird. Der Preis wurde erstmalig vom ehemaligen Vorsitzenden des Observatoriums, Herrn Jérôme Gavaudan, an die Vereinigung türkischer Rechtsanwaltskammern verliehen.

Die Mitglieder des OIAD hatten Gelegenheit, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen

Den Abschluss der Generalversammlung bildete die Übergabe des Vorsitzes von Herrn Jérôme Gavaudan, Präsident der staatlichen Rechtsanwaltskammer Frankreichs an Herrn Vincent Nioré, dem bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden der Pariser Rechtsanwaltskammer. Er wird den Vorsitz für den Zeitraum 2023/2024 übernehmen.

Die Aufgabe des Vorsitzes von Jérôme Gavaudan beim OIAD ist durch seine Wahl und Aufnahme in die Genfer Rechtsanwaltskammer als neues Vorstandsmitglied des OIAD, neben der Mailänder Anwaltskammer und den Gründungsmitgliedern, bedingt.

Am Nachmittag wurden im Rahmen verschiedener Themen-Workshops die einzelnen, dem Observatorium zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten besprochen. Ein Schwerpunkt lag auf der digitalen Sicherheit, ein wesentlicher Aspekt beim Schutz von Vertretern der Menschenrechte. In diesem Zusammenhang sprach Philippe Chaudon, Vorstandsmitglied an der Rechtsanwaltskammer zu Marseille, von einer „gefährlichen Situation“ und der Dringlichkeit, Maßnahmen für die Gewährleistung einer sicheren Kommunikation zwischen Rechtsanwählten zum besseren Schutz für sich und ihre Mandanten zu ergreifen.

 

Das Observatorium dankt seinen Mitgliedern sowohl für die persönliche als auch die Online-Teilnahme an der Generalversammlung und für ihren Einsatz für gefährdete Anwälte in aller Welt.