17. April 2023
Das OIAD erfährt mit Entsetzen von der Ermordung des haitianischen Anwalts André Charleus, dessen Leiche anschließend verbrannt wurde.
André Charleus war Rechtsanwalt in der Gemeinde Montrouis, in der seit mehreren Wochen ein Landkonflikt eskaliert war. Er verteidigte Bauern aus Piatre, die von bewaffneten Gruppen in der Region geplündert und geschädigt worden waren.
Als er am Mittwoch, den 12. April 2023, in Délugé, Arcahaie, auf dem Weg zu seinem Haus war, geriet Maître André Charleus in einen Hinterhalt, da Personen das Feuer auf sein Fahrzeug eröffneten. Seine Leiche wurde anschließend auf die Nationalstraße 1 geschleppt und verkohlt auf der Fahrbahn aufgefunden.
Der Mord geschah vor dem Hintergrund der allgemeinen Gewalt in einigen Regionen des Landes, da die Auseinandersetzungen zwischen den Gangs immer brutaler und häufiger werden und die Gangs versuchen, ihr Territorium auszuweiten, indem sie die Bevölkerung in den von ihren Rivalen kontrollierten Gebieten ins Visier nehmen. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Ermordung von André Charleus nur wenige Tage, nachdem er in einem Interview mit der Organisation „Tèt kole Ti Peyizan“ am 10. April 2023 angeprangert hatte, dass bewaffnete Banden in der Ortschaft Piatre etwa 25 Häuser niedergebrannt, Eigentum geplündert und das Land unter ihre Kontrolle gebracht hatten.
Das Observatorium ist empört und verurteilt aufs Schärfste die Ermordung von André Charleus aufgrund der Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt.
Das Observatorium fordert die haitianischen Behörden auf, eine unabhängige, unparteiische und transparente Untersuchung der Ermordung von André Charleus einzuleiten, der zur Zielscheibe wurde, weil er die Bauern von Piatre gegen bewaffnete Banden verteidigt hatte.
Das Observatorium fordert von den haitianischen Behörden einen stärkeren Schutz der Angehörigen der Rechtsberufe, insbesondere der Rechtsanwälte.
Das Observatorium erinnert die haitianischen Behörden daran, dass die Unabhängigkeit der Anwaltschaft einer der wichtigsten Indikatoren für eine gesunde Demokratie und die Festigung der Rechtsstaatlichkeit ist. Dies steht im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen über die Rolle der Anwaltschaft (1990), wonach:
„Die staatlichen Behörden stellen sicher, dass Rechtsanwälte a) alle ihre beruflichen Aufgaben ohne Behinderung, Einschüchterung, Belästigung oder unzulässige Einmischung erfüllen können; (…); und c) nicht Gegenstand von Verfolgung oder wirtschaftlichen oder anderen Sanktionen sind oder damit bedroht werden für alle Maßnahmen, die sie in Übereinstimmung mit ihren anerkannten Berufspflichten und -standards und ihrem Berufsethos ergreifen.“ (Grundsatz 16)
„Rechtsanwälte dürfen aufgrund der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mit ihren Mandanten oder der Sache ihrer Mandanten gleichgesetzt werden.“ (Grundsatz 18)
„Rechtsanwälte müssen wie alle anderen Bürger das Recht auf freie Meinungsäußerung, Glaubensfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit genießen.“ (Grundsatz 23)